Crowdfunding Schweiz 2015: Kleingeld für Kultur, Kapital für Kommerzielle - Erfolgsgeschichten

​(Zeichnung oben über die Wildnis von Finanzierungsformen von der Rechercheplattform Res Publica)

Crowdfunding in der Schweiz treiben einerseits Einzelpersonen oder Gruppen für viele kleine Kulturprojekte, andererseits einige junge Unternehmen. In wenigen Fällen haben diese erhebliches Kapital geworben. Eher an deren Umsätzen und Methoden müssen sich die Schweizer Hilfswerke und ihre Fundraising-Abteilungen orientieren; noch gibt es von Ihnen nichts Praktisches zu berichten.

Ist Crowdfunding die Alternative zum gewohnten Fundraising mit Spendenbriefen bei der breiten Bevölkerung? Das Instrument darf verstanden werden als Variante des Online-Fundraising, die standardisierte Aktionsformen und vereinfachte Zahlungsabläufe mit spielerischen Elementen verbindet und über privat bereit gestellte, kommerzielle Informationsplattformen, wo sich Anbietende und Abnehmende treffen, sowie mit Hilfe Sozialer Medien abläuft.
Die grösste Schweizer Crowdfunding-Plattform wemakeit.ch startete zu Beginn des Jahres 2012 und meldete drei Jahre später 6 Millionen Euro (oder 6 Millionen Franken – das war Anfang 2015  gleich starke Währungen) Sammelergebnis von 60'000 „Usern“ und rund 1000 finanzierte Projekte. Rund 70 Prozent der Aktionen schliessen erfolgreich ab. Diese Rate nennen die Macher weltweit einmalig.
Im Schnitt generierte eine Kampagne auf wemakeit.ch rund 6'000 Franken. Eine ganze Anzahl erzielte aber auch höhere fünfstellige Beträge und eine über 100'000 Franken. 90 % des Ergebnisses gehen an die Projektträger, 10% sind Gebühren für Plattform und Partnerfirmen wie Zahlungsanbieter.
Das kurz nach wemakeit.ch gestartete 100-days.net ist für Initianten günstiger (im Erfolgsfall, „und nur dann“, 5 Prozent Gebühren für Betreiber). Es findet aber weniger Aufmerksamkeit und brachte es im ersten Jahr auf eine Erfolgsquote von 50 % und einen Umsatz von einer halben Million Franken (einen Drittel des wemakeit.ch-Umsatzes im ersten Betriebsjahr). Dafür beanspruchte es damals einen Schweizer Rekord für das umsatzstärkste Einzelprojekt von 54'000 Franken, eine Wohngruppe für Jugendliche. Ein Versuch 2015, für ein Mehrweg-Behältersystem für das Essen auswärts 350'000 Franken zu sammeln, erreichte trotz verlängerter Sammelfrist nur rund 130'000 Franken. In ähnliche Dimensionen stiess die Basler Band The Bianca Story vor: sie sammelte knapp über 100'000 Franken für die Produktion ihrer CD 2014. Die Kampagne bezog intensiv die regionalen Feuilletons von Zeitungen und Zeitschriften in die Werbung dafür ein.

Junge Kultur-Plattformen steigern Umsätze
100-days.net bietet technische und statistische Einsichten: So war der Zahlungsweg via Postfinance (die Schweizer Postbank) mit 31 % der beliebteste; im Angebot waren auch die Master- und Visa-Card, PayPal und SMS-Spenden. Die durchschnittliche Spende (oder „Boost“ nach 100-Days-Sprache) hat sich 2014 auf rund 152 Franken erhöht. Sie stieg jedes Jahre um rund 20 Franken, von 113 Franken 2012 über 134 Franken 2013.
Namhafte Hilfswerke haben sich im Crowdfunding nicht versucht. 100-days.net bietet zum weitaus grössten Teil Kulturprojekte an, wemakeit.ch sogar ausschliesslich. Deren Start-Finanzierung haben Kultur-Förderstiftungen in der Hoffnung ermöglicht, dass die Investition sich vervielfachen lässt und neue Publika für Kultur erschliesst.
Die Plattformen projektstarter.ch, moboo.ch (für die Westschweiz), progettiamo.ch (für die italienische Schweiz) und miteinander-erfolgreich.ch sind zwischen 2012 und 2014 gestartet. Die letztgenannte ist die Unternehmung der Basellandschaftlichen Kantonalbank, die damit gemäss eigenen Aussagen in einem neuen Geschäftszweig mit von der Partie sein will, der langfristig Banken umgehen könnte, weil Mittelsuchende und Geber mit Crowdfunding direkt miteinander in Kontakt treten.
Wechselt der Beobachter zu c-crowd.com, präsentiert ihm diese Plattform eine neue Rekordmarke: Dort hat die Suitart AG, die Anzüge vertreibt, 2012 innerhalb von fast vier Monaten 549'000 Franken im Rahmen eines „Fundraisings“ beschafft. Junge Firmen wie die 2009 gegründete Suitart benennen Kampagnen zur Beschaffung von Gründungs-Kapital oder Kapitalerhöhungen genauso Fundraising wie NPO ihre Spendensammlungen.
Der Schweizer Crowdfunding-Monitor von Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern, der ab 2014 jährlich den Markt beschreiben will, benutzt hier den Begriff Crowdinvesting. http://blog.hslu.ch/retailbanking/crowdfunding/. Er stellt zur Diskussion, ob Plattformen, die langfristig Erfolg haben wollen, sich nicht ein klares Profil geben sollten – so wie ibelieveinyou.ch, das sich ausschliesslich dem Sport verschrieben hat und einzelnen Sportlern wie Vereinen und Veranstaltern Kampagnen erleichtert.

Wenige Jungunternehmen holen sich namhaftes Kapital
C-crowd.com ist weniger präsent als die beiden zuerst genannten Plattformen, die Objekt einer ganzen Reihe von Artikeln auf den Kulturseiten von Zeitungen oder von Radiosendungen waren. Die Seite erlaubt kommerziellen und gemeinnützigen wie kulturellen Initiativen Präsenz und hat sich selbst als AG konstituiert (wemakeit.ch und 100-days.net sind GmbHs). Unter den Erfolgsgeschichten stehen neben Suitart weitere Firmenkapital-Beschaffungen für 108'000 Franken und eine aus dem Jahr 2014 über 230'000 Franken. Anfang 2015 ist eine einzige Kampagne ausgeschrieben.
Noch mehr Tradition als die Ende 2010 gegründete c-crowd.com hat investiere.ch. Das Angebot steht seit Februar 2010 im Netz und distanziert sich vom gewöhnlichen, kommerziellen Crowdfunding. Es bezeichnet sich als Hybrid zwischen bewährten Risikokapital-Methoden sowie Online- und Social Media-Fundraising. Denn alle vorgestellten Jungunternehmen haben gemäss Eigendeklaration einen rigorosen Prüfungsprozess durchlaufen, hinter dem die Zuger Verve Capital Partners AG steht. Während die meisten Plattformen englische Namen tragen, aber deutsch kommunizieren, bleibt „investiere“ das einzige deutsche Wort auf investiere.ch. Die Seite listet im Frühjahr 2015 31 abgeschlossene Kapitalkampagnen auf mit jeweils durchaus sechsstelligen Resultaten und einer Gesamtsumme von 12,8 Millionen Franken. Mehrere Finanzierungsrunden zwischen 500'000 und 740'000 Franken ragen heraus.
Crowdinvesting scheint einem Bedürfnis zu entsprechen: der nach eigenen Angaben führende Anbieter dafür im deutschen Raum mit Hauptsitz in Berlin eröffnete im März 2014 ein Büro in Zürich mit Schweizer Personal, um für die hiesige Gründer-Szene besser verfügbar zu sein. Versuche wie 7crowd.com oder mediafunders.net andererseits hoben nicht ab und sind 2015 inaktiv.

Grosse Kampagnen laufen auch ohne Plattformen
Als Crowdfunding-Aktion verstand sich 2013 die Sammlung für den menschenähnlichen Roboter der Uni Zürich, die in zwei Monaten immerhin 70 % der Zielsumme von 500'000 Franken auf roboy.org erzielte. Neben 80 Privatpersonen listet die Seite Dutzende von Firmen als Supporter auf. Für einen Beitrag von 5'000 Franken kommt Roboy weiterhin zu Besuch; die Forscher nahmen aber auch Fünfliber entgegen.
Schliesslich wählte die Plattform crowdstreet.de ein Schweizer Projekt zum Crowdfunding des Jahres 2012. Auch hier ging es um eine kommerzielle Kapitalbeschaffung. Der Basler Unternehmer Thomas Steinemann bot über duboisfils.ch Aktien ab 500 Franken für die Neulancierung der alten Schweizer Uhrenmarke an. Er konnte so mit 220 Aktionären aus 19 Ländern in fünf Monaten 1,5 Millionen Franken äufnen; damit wäre wieder ein neuer Schweizer Rekord aufgestellt. Aktionäre haben das Recht, im ersten Jahr eine Uhr, die im Laden 6'000 bis 9'000 Franken kostet, zum halben Preis zu erwerben.
Duboisfils.ch wie roboy.org sorgten für starke, auch internationale Medienpräsenz während der Sammelaktionen, und zwar in traditionellen Medien, in Zeitungen und Fachzeitschriften. Das ist ein Erfolgsfaktor für die Mittelbeschaffung. Die Möglichkeit, sich als Spender mit seinem Namen auf dem Becken des Roboters zu verewigen, war ausverkauft. Gegenleistungen bilden also einen weiteren Treiber.